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Konzepte und Kriterien

Schwere Versicherbarkeit

6. Februar 2006 - Dreimal so viel Auto-Rückruf-Aktionen innerhalb von acht Jahren: Die Anpassung an das neue Risikoumfeld bot Diskussionsstoff bei der Euroforum-Jahrestagung Haftpflicht 2006 (www.euroforum.com).

H.Fromme, H.-J. Grüning u. H.-G. NeumannDie Schwächen der Kfz-Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung geraten in den Fokus der Versicherer. "Die Versicherbarkeit der Auto-Rückrufe wird zunehmend schwierig", resümierte Herbert Fromme (im Foto rechts). Der Versicherungsjournalist fasste als Moderator bei der jüngsten Euroforum-Jahrestagung Haftpflicht 2006 immer wieder nach, um den Referenten auch unbequeme Informationen zum Versicherungs-Geschäft mit Kfz-Rückruf-Aktionen zu entlocken. Hans-Joachim Grüning (im Foto links) und Hans-Georg Neumann (Bild-Mitte), beide HDI Industrie Versicherung AG (www.hdi.de), berichteten dann auch, dass der HDI zwar über einen wichtigen Marktanteil von 15 Prozent bei der Kfz-Rückrufkosten-Haftpflicht verfüge, aber beileibe nicht kostendeckend in dieser Sparte arbeite. Die Unterdeckung betrage sogar rund 50 Prozent. Man fahre derzeit Verluste ein. Allerdings werde eine Verbreiterung im Markt auf die verschiedensten Ebenen der Autozulieferer angestrebt. Mit entsprechendem Risk-Management bei den einzelnen Kunden soll ein kostendeckendes Preis-Niveau erreicht werden. Seit Mitte der siebziger Jahre arbeitet die Versicherungswirtschaft an Haftpflicht-Produkten rund um die Automobil-Industrie. Daraus entwickelte sich unter anderem – quasi als Nebenproduktlinie – die Kfz-Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung, die nur von wenigen Versicherern angeboten wird. Bei der Euroforum-Tagung wurden hier vor allem HDI, sowie die Gerling-Konzern Allgemeine (www.gerling.de), beide sind Unternehmen im Talanx-Konzern (www.talanx.com), genannt.

Das Auto gelte als das emotionale Produkt, mit dem man fast alles machen kann, ganz im Gegensatz zum 'Produkt Versicherung', betonte Neumann in seinen Ausführungen. Deshalb sei eine Vermengung und Detaillierung der Risiken in den Hans-Georg NeumannSektoren Auto und Versicherung besonders schwierig. Man müsse hinterfragen, ob die derzeitige Versicherungsform der Kfz-Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung noch zeitgemäß sei. Hans-Georg Neumann (Foto): "Das sicherheitstechnische Underwriting ist seit Mitte des letzten Jahres in die Produktion der Automobil-Herstellers eingegangen." Jetzt gehe es um veränderte Zuständigkeiten und Haftung. Die Versicherer benötigen dafür mehr Transparenz und eine genaue Risiko-Kenntnis.

Das seit 2004 geltende Geräteprodukt-Sicherheits-Gesetz (GPSG) habe die Ausgangsposition verändert. Das GPSG fasst das Gerätesicherheitsgesetz (GSG) und das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) zusammen, beseitigt die kritisierten Mehrfachregelungen und setzt die EU-Produktsicherheits-Richtlinie von 2001 in nationales Recht um. Wirtschaft, Behörden und vor allem die Verbraucher sollen von der Neuordnung profitieren. In der Begründung zum Gesetzestext heißt es: "Unter dem Gesichtspunkt der Deregulierung und Entbürokratisierung soll mit dem neuen GPSG ein umfassendes Gesetz zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheit im Zusammenhang mit der Vermarktung technischer Produkte geschaffen werden." Es sei zwar Vieles aus den alten Gesetzen übernommen worden, einige zentrale Aspekte sind nach Neumanns Aussagen jedoch neu.

Die Zuständigkeit des Kraftfahrt-Bundesamtes (www.kba.de), das in die offiziellen Kfz-Rückrufe eingebunden ist, hat sich mit dem GPSG verändert. Es arbeite jetzt verstärkt wie eine Kontrollbehörde nach amerikanischen Stil. Durch das KBA sind nach Neumanns Hochrechnung, die auf Marktbeobachtungen beruhen, im Jahr 1998 noch 82 Kfz-Rückrufe gestartet worden. Zunächst moderat, dann aber immer deutlicher schnellten die Rückruf-Zahlen in die Höhe:
  • 1999 wurden offiziell 85 Kfz-Rückruf-Aktionen bekannt;
  • 2000 starteten 94 Kfz-Rückruf-Aktionen;
  • 2001 wandten sich die Automobilhersteller 113 Mal an ihre Kunden mit Rückruf-Aktionen;
  • 2002 stieg die Anzahl der Kfz-Rückruf-Aktionen auf 127 an;
  • 2003 musste 182 Mal eine bestimmter Kfz-Typ zurück ins Werk gerufen werden;
  • 2004 wurden 216 Kfz-Rückrufe durchgeführt;
  • 2005 wurden geschätzte 220 Kfz-Rückrufe gestartet.
Allein im vergangenen Jahr machten fünf besonders große Rückruf-Aktionen Schlagzeilen, weil es sich Mängel handelte, die ohne Eingreifen schwerste Schäden hätten verursachen können. So traf es unter anderem auch den von Fachzeitschriften zum "Auto des Jahres" gekürten Kfz-Typ Toyota Cotolla/Avensis, bei dem die Bremskraftverstärkter defekt waren. Auch bei Mercedes mit seinen E-/ CLS und S-Klassen stand ein Rückruf an wegen defekter Bremsanlagen. Beim Fiat Stilo ging es in der Rückruf-Aktion 2005 um das Lenkgehäuse, beim Peugeot 307 um das ABS Steuergerät und beim Audi A 6 um die Software des Airbags. "Aber", so Neumann, "betroffen sind Teiler aller Hersteller und Baugruppen."

Die Versicherer analysieren, welche Gründe zu einer Rückruf-Aktion führen. Danach sind wichtige Einflussfaktoren für Produktmängel:
  • Zeitdruck bei der Entwicklung,
  • Produktvielfalt und – komplexität,
  • elektronische Bauteile,
  • Kostendruck auf die Zulieferer sowie
  • Schnittstellen- und Verantwortungs-Überschneidungen.
Als wichtigsten Rückruf-Grund nannte Neumann "drohenden Personenschaden". Doch auch drohender Sachschaden und selbst Produktmängel ohne "Schadendrohung" sowie Schönheitsfehler lösen inzwischen die Rückrufpflicht aus.

Im Haftpflichtversicherungs-Bereich kristallisieren sich zur Abdeckung des Rückrufe drei Linien heraus:
  • Produkt-Haftpflichtversicherung für Mangelfolgeschäden (Personen- und/oder Sachschäden);
  • Kfz-Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung, wobei die Zusammenführung von Mangelfolgeschäden aus Gefahrenabwehr und/oder aus Produktmangel in einer Police erfolgte. HDI hat sich hier eine besondere Kompetenz erarbeitet, weil das Unternehmen in den letzten dreißig Jahren permanent für eine Aktualisierung des Regelwerks sorgte. Abgedeckt sind Aufwendungen für Rückruf-Kosten, Fehlersuch-Kosten sowie Aus- und Einbau-Kosten.
  • Die Rechtsverteidigungs-Kosten zur Klärung der Schadenersatz-Haftung bilden einen weiteren Schwerpunkt.
"Für Großrisiken werden die Kapazitäten knapper", sagte Hans-Joachim Grüning, auf die Haftungs-Entwicklung und die Konsequenzen für den Versicherungsmarkt angesprochen. Die meisten Versicherer zeichnen selektiv oder gar nicht mehr. Schließlich würden die Risk-Manager in den Assekuranz-Unternehmen mehr Risikotransparenz benötigen, denn – so Grüning: Die Zeichnung von Rückruf-Risiken erfordert zunehmend spezifisches Hans-Joachim GrüningKnow-how und ein besonderes auseinandersetzen mit der individuellen Risiko-Situation. Technisches Underwriting wird zunehmend wichtiger."

Was Transparenz und Risiko-Kenntnis betrifft, hat HDI nach den Aussagen von Hans-Joachim Grüning (Foto) Worten ein Expertensystem und den HCheck® entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Datenverarbeitungs-System zur Risiko-Analyse und –bewertung. Dabei werden Risiken systematisch erfast und dokumentiert. Veränderungen werden automatisch dargestellt. Außerdem können mit Hilfe des HCheck® Marktbeobachtungen erfasst und bewertet werden. Schließlich kann man so das versicherte Portefeuille mit den Beobachtungen vergleichen.

Hans-Joachim Grüning verdeutlichte eine Tendenz im Markt. Danach werden den Zuliefereern Allgemeine Geschäftsbedingungen und Qualitätssicherungs-Vereinbarung vorgelegt, die pauschalierte Kosten-Erstattungen vorsehen und somit eine Abkehr vom Haftungsgrundsatz darstellen. "Dies kann nicht mehr der Fokus einer Kfz-Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung sein", ereiferte er sich.

Hans-Georg Neumann, der als Leiter Industrie-Haftpflicht und Konzern/Sicherheitstechnik Haftpflicht bei der HDI Versicherung AG in Hannover verantwortet, und sein Kollege Hans-Joachim Grüning, dessen Aufgabenschwerpunkte in der Analyse von exponierten Risiken insbesondere der Kfz-Zulieferer sowie die Entwicklung von Experten-Systemen liegen, gaben dem Moderator des Euroforums, Herbert Fromme, recht: "die Versicherbarkeit wird zunehmend schwierig."

Auf jeden Fall müssten hohe Rückstellungen für Produktmängel in den Bilanzen der Kfz-Hersteller und System-Lieferanten gebildet werden. Im Einzelfall gehe es immerhin um Existenz bedrohende Risiken. Vor allem sei aus Versicherer-Sicht eine höhere Transparenz bei den Risiken erforderlich, damit auch eine engere Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten gedeihen könnte. (eb)

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