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Konzepte und Kriterien

Keine Anwaltskanzleien bei Rechtsschutzversicherern

19. Dezember 2024 - Der heutige 19. Dezember war für viele Rechtsschutzversicherer hierzulande mit großer Hoffnung erwartet worden. Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) sollte eine wegweisende Entscheidung fällen, die hierzulande vor allem dem im In- und Ausland tätigen Arag Rechtsschutzversicherer neue Möglichkeiten öffnen sollte.

Es geht darum, ob sich ein privater Investor an einer Rechtsanwaltskanzlei beteiligen oder sie sogar komplett übernehmen darf. Der Fall betraf vor allem auch die in Österreich tätige Beteiligungsgesellschaft Sive, die die Rechtsanwaltsgesellschaft Halmer übernommen hat, weshalb die Münchener Anwaltskammer die Lizenz von Halmer in München entzogen hat. Dagegen hat der Geschäftsführer Daniel Halmer geklagt. Sein Argument: Das sogenannte Fremdbesitzverbot verstößt gegen EU-Recht, weil der freie Kapitalverkehr und die Dienstleistungsfreiheit behindert werden.

Es heißt, dass ein Mitgliedstaat die Beteiligung reiner Finanzinvestoren am Kapital einer Rechtsanwaltsgesellschaft verbieten darf. Das hat der EuGH am heutigen Donnerstag in einem von der Rechtsbranche mit Spannung erwarteten Urteil verkündet (Urteil vom 19.12.2024 - C-295/23). Eine solche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs sei durch das Ziel gerechtfertigt, zu gewährleisten, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ihren Beruf unabhängig und unter Beachtung ihrer Berufs- und Standespflichten ausüben könnten, so das Gericht.

„Der EuGH gelangt zu einem – in dieser Klarheit doch überraschenden – Ergebnis: Das deutsche Fremdbesitzverbot ist unionrechtskonform", sagt der akademische Oberrat am Institut für Anwaltsrecht der Universität zu Köln, Dr. Christian Deckenbrock. Der EuGH habe in seiner Entscheidung wiederholt die Bedeutung der anwaltlichen Unabhängigkeit betont und dabei dem nationalen Gesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum eingeräumt.

„Das Bestreben eines reinen Finanzinvestors, seine Investition ertragreich zu gestalten, könnte sich nachteilig auf die Organisation und die Tätigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft auswirken, weil er geneigt sein könnte, auf eine Kostensenkung oder das Bemühen um eine bestimmte Art von Mandanten hinzuwirken", erläutert Deckenbrock die Argumentation des EuGH.

Die wirtschaftlichen Interessen eines Investors sind – so das Urteil des EuGH - unvereinbar mit der anwaltlichen Tätigkeit. „Allein die mögliche Androhung des Investors, andernfalls seine Investition zurückziehen, stelle eine nicht hinnehmbare mittelbare Einflussmöglichkeit dar."

In dem vorliegenden Fall, der in der Rechtsbranche für erhebliches Aufsehen sorgte, hatte 2021 der Rechtsanwalt Dr. Daniel Halmer 51 Prozent der Anteile an seiner Rechtsanwaltsgesellschaft – einer UG – an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft abgetreten.

Durch eine Satzungsänderung sollte sichergestellt sein, dass der Mehrheitseigener keinen Einfluss auf die anwaltliche Tätigkeit nehmen könne. Da die BRAO in ihrer damals geltenden Fassung in Paragraph § 59e (wie auch in der aktuell geltenden Fassung) eine solche Fremdbeteiligung verbot, hatte die RAK Rechtsanwaltskammer München Halmers Berufsausübungsgesellschaft daraufhin die Zulassung entzogen. Dagegen wehrte sich die UG vor dem Bayerischen AGH und erreichte, was mutmaßlich bereits von Beginn an Ziel der der strategischen Klage gewesen war: eine Vorlage an den EuGH, der das Fremdbesitzverbot an unionsrechtlichen Maßstäben prüft.

Es hat den Anschein – so sagen Fachkreise, dass sich der EuGH sich zu den spannenden Problemen ausschweigt. Mit ihrem Urteil folgt die große Kammer beim EuGH nicht der Ansicht des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona, der In seinen Schlussanträgen vom 4. Juli 2024 Beschränkungen beim Fremdbesitz zum Schutz von Allgemeingütern für möglich hielt.

Er hatte jedoch bemängelt, dass die Regelungen in der BRAO inkohärent und damit ungeeignet seien, dieses Ziel zu erreichen. Als Maßstab hatte er dafür Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 (Dienstleistungsrichtlinie) angelegt. Dieser legt fest, welche Anforderungen Mitgliedstaaten an Dienstleistungserbringer stellen dürfen und verlangt unter anderem, dass diese Anforderungen verhältnismäßig sein müssen. Der EuGH ist in seiner Entscheidung auf die Frage der Inkohärenz derweil nicht eingegangen.

Wie die Medien berichten, sagte der Wissenschaftler Deckenbrock, dass es in gewisser Form erstaunlich und auch enttäuschend sei, dass sich der EuGH auf die vom Anwaltsgerichtshof und vom Generalanwalt aufgeworfene Frage entsprechend negativ geäußert habe. Fraglich sei, ob das deutsche Berufsrecht dem Kohärenzgebot genügt oder gar nicht eingeht, so Deckenbrock. Für ihn ist die Begründung des EuGH nicht befriedigend.

„Auch ich halte die anwaltliche Unabhängigkeit für ein sehr hohes Gut, hätte mir aber schon gewünscht, dass der EuGH diesen Begriff stärker konturiert und auch im Lichte der Einschränkungen, die der Gesetzgeber ohnehin schon hinnimmt, auslegt."

EuGH geht nicht auf aktuelle deutsche Rechtslage ein
Das Urteil des EuGH befasst sich nicht mit den aktuell geltenden Vorschriften der BRAO, sondern mit der Rechtlage, wie sie vor der großen BRAO-Reform, also bis 31. Juli 2022 galt, heißt es. Danach konnten Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft nur Anwältinnen und Anwälte sowie wenige andere Berufsträger – etwa Steuerberaterinnen und Wirtschaftsprüfer –  sein und das auch nur, wenn sie tatsächlich in der Kanzlei beruflich tätig waren und obendrein die Mehrheit der Geschäftsanteile Anwältinnen und Anwälten zustand (§ 59e BRAO a.F.).

Mit der BRAO-Reform 2022 hat der Gesetzgeber diese Regelung zwar etwas gelockert und den Kreis der sozietätsfähigen Berufe auf alle freien Berufe nach Paragraph § 1 Abs. 2 PartGG ausgeweitet (§59c Abs. 1 Nr. 4 BRAO). An dem Fremdbesitzverbot hat sich aber grundsätzlich nichts geändert. Insbesondere reine Finanzinvestoren und Versicherer – für die dieses Modell besonders interessant wäre – dürfen sich auch nach der aktuellen Rechtslage nicht an Kanzleien beteiligen.

Auf die neue Rechtslage ist der EuGH derweil in seinem Urteil gar nicht eingegangen. Deckenbrock: „Der Umstand, dass heute interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften mit allen freien Berufen bei einem nur schwach ausgestalteten Gebot der Mitarbeit zulässig sind, scheint für den EuGH keine Rolle zu spielen."

„Großer Sieg für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft"
Der Prozessvertreter der beklagten Rechtsanwaltskammer München, Prof. Dr. Christian Wolf, zeigte sich nach der Urteilsverkündung erfreut. „Die Rechtsanwaltskammer München hat einen großen Sieg für die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und den Rechtsstaat erzielt", sagte er gegenüber beck-aktuell. „Die Entscheidung des EuGH ist glasklar und fügt sich in eine lange Reihe von Entscheidungen ein, in welchen er die besondere Bedeutung der Rechtsanwälte für den Rechtsstaat betont."

Wie bkeannt, wird über das Fremdbesitzverbot in der Rechtsbranche seit Jahren gestritten. Die einen argumentieren, Kanzleien bräuchten Kapital für Investitionen etwa im Legal-Tech-Bereich, um kostendeckend auch Fälle mit kleinem Streitwert bearbeiten und so den Zugang zum Recht sichern zu können. Die anderen sehen dagegen die anwaltlichen core values in Gefahr: Wer den Interessen von Finanzinvestoren unterworfen sei, könne nicht unabhängig anwaltlich tätig sein, so die Argumentation.

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Bei der Arag (www.arag.de) hatte Vorstand Hanno Petersen kürzlich gesagt, dass die Arag wohl eine einstellige Zahl an Kanzleien erwerben könnte, mit einer dreistelligen Zahl an Anwälten. Konzentrieren würde die Arag-Kanzlei sich auf Bereiche wie Miet-, Verkehrs- oder Arbeitsrecht, in denen es ein hohes Volumen an Fällen gibt.

Dies wird nach dem aktuellen EuGH nun vorerst nichts. Die Arag - weltweit größter Rechtsschutzversicherer und in 19 Ländern aktiv – in Europa, aber auch den USA, Kanada und Australien – besitzt in ausländischen Filialgesellschaften das jetzt in Österreich strittige Modell.

„Auf den ersten Blick ist davon auszugehen, dass der EuGH damit keinen Anstoß liefert, den deutschen Rechtsmarkt fortzuentwickeln“, heißt es dazu in einem Statement der Arag. Vor einer abschließenden genauen Auslegung des Urteils müsse man die einzelnen Urteilsgründe genau bewerten. Die Arag setzt dies bezüglich nun auf die Bundesregierung: „Wir haben die Hoffnung, dass der deutsche Gesetzgeber weiterhin an der Verbesserung des Zugangs zum Recht für alle Rechtssuchenden in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft arbeiten wird“, heißt es bei der Arag. (-el / www.bocquel-news.de)

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